In einem Beitrag in der Tageszeitung DIE WELT präsentiert Rainer Werner seine Interpretation der Hattie-Studie. Der Autor arbeitete 30 Jahre lang an Berliner Schulen als Lehrer für Deutsch und Geschichte. Er ist Autor didaktischer Lehrwerke im Fach Deutsch, die im Ernst Klett Verlag und im Schroedel Verlag erschienen sind.
Besonders gut fasst der Autor die Sichtweise Hatties auf den Beruf des Lehrers zusammen:
Hattie begreift den Beruf des Lehrers als Handwerk, das professionell ausgeübt werden muss. Dem pädagogischen „Handwerker“ stehen dabei viele Stellschrauben zur Verfügung, an denen er drehen kann, um den Output seiner Tätigkeit zu erhöhen. Jede Kleinigkeit ist dabei wichtig, weil auch sie zum Lernerfolg beitragen kann.
Weniger passgenau und eher tendenziös erscheinen andere Passagen, wie zum Beispiel die Lesart zu offenem Unterricht:
Die Sozialingenieure der Schule, die – souffliert von OECD und Bertelsmann-Stiftung – von „Lernlandschaften“ schwärmen, in denen die Kinder im „offenen Unterricht“ nur noch „selbstbestimmt individuell“ lernen, werden sich verdutzt die Augen reiben, wenn sie Hattie lesen. Er hält offenen Unterricht schlicht für unwirksam.
Dies bedarf einer Ergänzung, die Hattie selbst explizit angibt, der Autor jedoch verschweigt: „Programme für Offenen Unterricht können dabei helfen ein höheres Selbst-Konzept, mehr Kreativität und eine positive Einstellung gegenüber der Schule zu schaffen.“ (Hattie 2009, S.89) Für Hattie sind dies jedoch „non-achievement outcomes“ also kein „Lernerfolg“ im messbar kognitiven Sinne, auf den sich seine Studie als Forschungsprojekt jedoch konzentriert. Im Schulalltag und bei bildungspolitischen Entscheidungen ist es sicherlich hilfreich, sich nicht einzig auf diese Sichtweise zu beschränken.
Mit der von Hattie formulierten Erkenntnis zu offenem Unterricht wäre es sogar vorstellbar, dass ein Autor in einer anders ausgerichteten Zeitung behauptete: Wenn Hattie herausfindet, dass „offener vs. traditioneller Unterricht“ keinen Unterschied macht was den (kognitiven) Lernerfolg betrifft (d=0.01), der offene Unterricht in anderen Bereichen jedoch etwas bringt, so kann dieser als Erfolg gewertet werden.
Die Interpretation der Hattie-Studie hängt stark vom Kontext ab und es scheint sich zu bewahrheiten, was Annemarie von der Groeben in der Zeitschrift Pädagogik als Warnung formuliert hat: „dass jeder daraus entnimmt, was zur eigenen Position passt.“
Der Beitrag von Rainer Werner erschien am 6.4.2013 unter dem Titel „Ende der Inkompetenz“ in der Tageszeitung DIE WELT. Er ist nachzulesen auf www.welt.de
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