Nachdenken nach der Hattie-Studie – Gastbeitrag von Timo Off

Das Times Educational Supplement sprach nach Erscheinen von John Hatties Buch “visible learning” von nichts Geringerem als der Entdeckung des Heiligen Grals. Das Buch (oder genauer: die Studie) ist noch nicht ins Deutsche übersetzt – und doch hat die Rezeption die üblichen Fachkreise schon längst überschritten. In den für Bildung zuständigen Landesinstituten und den Bildungsministerien wurden und werden die Ergebnisse von Hattie umfassend diskutiert und Maßnahmen geplant. Hessen widmete seinem Schul-Magazin “Bildung bewegt” im letzten Sommer sogar eine ganze Ausgabe. Mehrere pädagogische Zeitschriften springen nach und nach auf. Gerade jetzt startet z.B. schulmanagement eine sechsteilige Serie zu Hattie.

Worum geht’s in der Hattie-Studie – und warum wird sie landauf – landab so intensiv besprochen?
John Hattie, Professor an der Universität von Melbourne (zuvor Auckland), hat mit seinem Buch “visible learning” eine Meta-Analyse von Meta-Analysen zur Unterrichtsforschung vorgelegt. Eine Meta-Analyse fasst mehrere Studien zu einer Fragestellung zusammen, um Effektstärken zu mitteln. Hattie hat also nicht mehrere Studien zusammengefasst, sondern mehrere (d.h. mehr als 800) Meta-Analysen. Insgesamt gehen in seine Berechnungen auf diese Weise ca. 50.000 Studien mit ca. 83 Mio Teilnehmern ein. Nach dem Original „Visible Learning“ gibt es mittlerweile eine (englischsprachige und) Anfang 2012 veröffentlichte Ausgabe “Visible learning for teachers“, das Hinweise für die Umsetzung der Erkenntnisse im Unterrichtsalltag gibt.

Geht das einfach so oder ist das fauler empirischer Zauber auf der Suche nach dem heiligen Gral?
Methodisch ist das Ganze (wahrscheinlich – wenn ich das überhaupt zu beurteilen wage…) einwandfrei und zugleich bleiben mir doch ein paar Fragen offen, die ich noch nicht besprochen sehe:

  • Ist es für uns im föderal-zerklüfteten Deutschland bedeutsam, dass keine einzige Studie mit nicht-englischsprechenden Schülern dabei ist? Denn sämtliche Meta-Analysen und sämtliche zugrunde liegenden Studien untersuchen Unterricht im englischsprachigen weltweiten Ausland.
  • Wie gehen wir in diesem Zusammenhang bei grundsätzlicher Kritik an Meta-Analysen mit einer Meta-Meta-Analyse um? Ist das Netz der Erkenntnis hier nicht doch zu grobmaschig gestrickt?
  • Gibt es neben Hatties Faktoren noch weitere Aspekte guten (i.S. von wirksamen) Unterrichtens, die in der Hattie-Studie nicht enthalten sind? Denn Hattie schaut mit seiner Studie auf den Status quo und es bleibt offen, was noch entdeckt wird.

Was wirkt?
Das übersichtlichste Zitat habe ich hier gefunden (Köller/Möller: was wirklich wirkt. in: schulmanagement 02/2012, S. 21):

“Es ist schon erstaunlich, dass sich aus so vielen Studien eine relativ klare Botschaft ergibt: Positive Effekte auf das Lernen von Schülerinnen und Schülern hat ein Unterricht,
  • der fachlich orientiert und dabei kognitiv aktivierend ist,
  • in dem die zur Verfügung stehende Zeit auf für den Unterricht genutzt wird,
  • in dem die Lehrkraft Schüler anleitet, anspruchsvolle, aber bewältigbare Lernaufgaben zu bearbeiten.”

Wer eine Zusammenfassung zur Hattie-Studie finden will, wird hier fündig:

In der aktuell erschienenen Zeitschrift b:sl 02/2012 geht M. Gieske übrigens auf die bislang in den Hattie-Besprechungen wenig beachtete Wirkung der Schulleitung auf den Lernerfolg ein.
Wer im Internet sucht, findet zahlreiche weitere Artikel zu unterschiedlichen Aspekten der Hattie-Studie. Es bleibt weiterhin einiges zu untersuchen und der Weg der theoretischen Erkenntnisse zur schulischen Praxis ist naturgegeben steinig. Aber liegt nicht gerade auch hierin ein besonderer Reiz?!

Hattie persönlich in einem Vortrag gibt es seit Kurzem auf youtube. Teil 1 über die Dinge, die aus seiner Sicht keine Wirkung haben. Teil 2 dann über what works best. Beide Videos sind auf jeweils in 15min zusammengeschnitten.

Von Beruf Mathematik- und Philosophielehrer arbeitet Timo Off  zur Zeit am MBK in Kiel zu Vergleichsarbeiten in Schleswig-Holstein. In seiner Freizeit bloggt er (privat) auf www.timo-off.de über Schule und Bildung, dort ist auch dieser Gastbeitrag zuerst erschienen.  Auf Twitter können Sie ihm folgen unter @timo_off.
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